Zerfall, Zukunft, Zeitz
Lisa Keller
Produktionsassistenz // freie Tätigkeiten

Die Stadt Zeitz liegt unweit von Leipzig im Süden von Sachsen Anhalt. Sie steht oft symbolisch für den Wegzug und Leerstand in den Klein- und Mittelstädten der Neuen Bundesländern. Ich habe mich gefragt, wie Jugendliche in Zeitz auf ihre Stadt blicken, was sie beschäftigt wenn es um den Leerstand geht, um die Vergangenheit und Zukunft ihrer Stadt?

Ein Seminarwochenende im Kloster Posa
Der Text wird möglicherweise mehr Fragen aufwerfen als welche zu beantworten. Ein Wochenende in Zeitz. Ein Blitzlicht. Sehr kurz um ein wirkliches Verständnis, einen Einblick zu bekommen, um Verbindungen aufzubauen. Was legitimiert mich also zu schreiben nach dem kurzen Besuch? Die Zweifel daran beschäftigten mich während der Seminartage auf Kloster Posa in Zeitz. Vertrauter sind mir die qualitativen Forschungsmethoden der empirischen und ethnographischen Arbeits- und Herangehensweisen, eingebettet in mehrwöchige oder mehrmonatige Aufenthalte an einem Ort, einem Eintauchen in das jeweilige Thema, zwischenmenschliche Kontakte, Zusammenhänge.

Ost, West & Wer spricht?

Neben des kurzen Besuchs, spielt bei meinen Zweifeln noch die eigene westdeutsche Herkunft eine Rolle. Ich denke darüber nach, wie Journalismus in so einem kurzen Zeitfenster funktionieren kann ohne Safari-Journalismus zu werden. Also jener Journalismus, der die Sensation sucht, Vorurteile bedient und dann wieder verschwindet von vor Ort.
Ich meine aber auch, die mir fehlende Umbruchserfahrung eines Systemwechsels. Hier sollen keine Stereotype bedient werden: Stereotype, die ein Macht-Verhältnis, Diskriminierungsmuster und Ausschluss nur reproduzieren, nicht aber hinterfragen, aufzeigen oder sogar überwinden würden.

 

 

Fragezeichen
Leerstand in Zeitz. Fragezeichen sind an manche der Fensterscheiben gesprüht. Das Backsteingebäude der ehemaligen Paul-Wegmann-Schule steht seit 2002 leer. Mit der Wende und dem Geburtenrückgang gab es bis Ende der 90er Jahre vermehrt Schulschließungen.

Seit der Nutzung als Schule war das Gebäude 2011 auch mal als Filmkulisse genutzt worden sowie bis heute als (Frei)Raum zum Sprayen.

Am Fuß der Anhöhe, wo sich das Kloster Posa befindet, treffe ich am frühen Samstagabend vier Jugendliche, ich schätze sie auf Anfang 20, vielleicht etwas jünger. Als ich sie nach der Paul-Wegmann-Schule frage, sagen sie, diese sei verloren und vergessen.

Irgendwann hätte es wohl mal eine Umfrage gegeben, was mit den Gebäuden passieren soll, initiiert von der Gemeinde. Die Handlungsabsichten des Bürgermeisters sind nach Einschätzung der Jugendlichen wenig glaubwürdig. Trotz der Ankündigungen von Restaurierungs- und Umnutzungspläne, stünden seit langer Zeit Baugerüste, doch passiere nichts.
Es fehle an Geld und Interesse für Zeitz. Konkret kritisiert die Gruppe den teuren und aus ihrer Perspektive sinnlosen Bau des sogenannten Nebelbrunnens beim Rathaus.

Sie wirken resigniert. „Entweder man schafft es raus aus Zeitz oder bleibt ewig Zeitzer“ klingt wie ein Urteil, eine Beschreibung und Warnung.
Ihnen gefiele die Altstadt, sie sei wirklich schön aber der Rest nicht. Wo wir uns gerade befinden, sei ein gutes Viertel, die schlechten Viertel erkenne man am Drogenkonsum und der Dealerei. „Es ist leichter Crack zu bekommen als Alkohol“. Eine neues Wort, das ich von ihnen lerne ist „Crackhead“. In Bezug auf die Schule, sei auch Vandalismus ein großes Problem. Leute würden nur kaputt machen wenn die Gebäude so lange leer stünden.

 

Leere, freie Häuser

Ich lese und schaue mir Beiträge über den Leerstand in Zeitz an, höre Interviews dazu. Selber spreche ich auf meinem Spaziergang zur Schule mit unterschiedlichen Bewohner:Innen und Besucher:Innen. Der lange Leerstand dieses und der weiterer Häuser in Zeitz zeugen vom Wegzug, dem Wegfallen von Industrie und Arbeitsplätzen. Nicht vergessen werden dürfen dabei die Geschichte und ihre Akteure. Wer hat verdient am Ausverkauf, an der Abwicklung ganzer Industrien?

Leerstand als Zukunft zu sehen liegt nicht jeder*m gleichermaßen nahe. Wer hat die finanziellen Möglichkeiten, zu investieren und im Sinne der Selbstverwirklichung kreative, originelle, intellektuelle Kunst-Projekte zu realisieren. Wer hat die Fertigkeiten, Fördergelder zu beantragen, beherrscht den dafür benötigten Sprech und Zugang?

Wenn wir uns mit der Geschichte und der gegenwärtigen Situation beschäftigen, scheint es mir umso seltsamer, allein diesen erwartungsvollen und euphorischen Blick auf Neu-Nutzung und Transformation zu legen. Wann stellen wir die soziale Frage dabei?

Ich frage mich, ob es am Ende nicht auch eine Klassenfrage ist, Leerstand als sogenannten Frei- und Möglichkeitsraum für soziale und künstlerische Projekte zu sehen?Und ohnehin ist für Leerstand nur möglich, ein Freiraum zu sein, wenn er nicht Spekulation sondern wirklich gesicherter Spielraum für kreative, alternative Nutzungskonzepte ist.

Die soziale Frage ist auch bei all den Neukäufen zu stellen. Wer verdient an den Spekulationen des Leerstands? Wer kauft mit welchen Intentionen und was hat die Zeitzer Bevölkerung davon nachhaltig?

Paul Wegmann Schule

Später begegne ich zwei weiteren Jugendlichen aus Zeitz. Einer der beiden kennt die Schule von Innen gut. Für ihn ist das so lange schon leerstehende Gebäude eine Möglichkeit zum Sprayen, eine Leinwand, an der ihre Kunst nicht stören würde, ein Ort, sich auszudrücken, auszuprobieren, sich zu treffen und Parties zu feiern, für all das gibt es sonst kaum Raum für junge Menschen hier.

Dass es überhaupt so viel Leerstand gäbe wundert ihn, wo doch sonst so viel von Platzmangel gesprochen würde. Warum sie nicht genutzt würden als Wohn- oder Gewerbefläche. „Aber es kommt ja keiner nach Zeitz mehr. Außer zur Zeit irgendwie die ganzen Neureichen in der Villengegend.“ Dann hänge der Stadt noch eine Bild-Reportage nach, die vor fünf Jahren über die sogenannte „Verlassene Stadt Zeitz“ veröffentlich wurde.
Die alte Industriestadt sei hochverschuldet. Erneut höre ich ein Misstrauen gegenüber den Ankündigungen und Versprechen von Investitionen und Aufbau.
Als ich ihn frage, was er mit einer Kamera festhalten und wie er das Gebäude visuell darstellen würde, hat er direkt eine ganz genaue Vorstellung und nimmt uns imaginär in seiner Beschreibung mit auf einen kleinen Rundgang. Durch den Hof, vorbei an den Außenwänden mit Sicht auf Graffities an der oberen Hauswand. Durch den Kellereingang rein, wo sich eine große Metalltür befindet.

Mit den vor mir liegenden Gesprächsprotokollen und Audioaufnahmen zurück in Berlin, wird mir nochmal deutlich, wie pessimistisch und enttäuscht sich die Perspektiven dieser jungen Menschen für mich anhören. Würde mit meiner Beschreibung und Wiedergabe ihrer Stimmen dann in die stereotypische Kerbe dieser sogenannten ostdeutschen Tristesse getreten werden? Oder sind sie nicht einfach für sich, als das was sie sind, berechtigt, nachvollziehbar und Teil einer Generation, die sich hier und weltweit mit einem Haufen Krisen momentan und zukünftig konfrontiert sieht? Einer Realität gegenübersteht, die nicht leicht in Euphorie versetzt und schwerlich einlädt zum Visionieren.

 

Fotos: Lisa Keller

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