In der kleinen Stadt Zeitz in Sachsen-Anhalt, inmitten des Industriegebiets, steht eine ehemalige Nudelfabrik. Dort haben Birgit und Mathias Mahnke in den vergangenen Jahren einen Ort geschaffen, welcher Kreativität und Gemeinschaft fördern soll. Inzwischen befinden sich in dem Gebäudekomplex Lofts, Aufenthaltsräume, Konferenzräume und Pensionszimmer. Die gute Anbindung an Städte wie Leipzig und Halle könnte dabei ein entscheidender Faktor sein, um die kreative Branche in die Stadt zu ziehen, denn diese hat im Zuge der Deindustrialisierung nach der Wiedervereinigung einen großen Teil ihrer Arbeitsplätze und daraufhin auch viele ihrer Einwohner verloren.
Anfangs diente das Gebäude, wie der Name schon erahnen lässt, als Fabrik für Teigwaren und Zwieback, erbaut von Max Emmerling, der im Jahr 1888 die Firma Elite gründete und 1901 das Fabrikgebäude mit 11.000 Quadratmetern Fläche bauen ließ. Die Produkte erlangten schon damals Bekanntheit, wiederzuerkennen durch das Logo einer Windmühle, auf deren Blättern der Name Elite zu lesen ist. Trotz der Enteignung der Firma in der DDR wurden dort bis in die 1990er Jahre Teigwaren hergestellt, sowie Konfitüren und Dosenfrüchte. Die Produktion war zu dieser Zeit Teil eines Volkseigenen Betriebs. Nach der Wende wurde das Unternehmen aufgelöst – trotz vergeblichen Versuchen der Nachfahren von Max Emmerling, die Nudelfabrik wieder zu übernehmen. Danach stand das Gebäude lang leer und war mehrfach für eine kürzere Zeit im privaten Besitz. Beispielsweise war dort in den 1990er Jahren eine Möbelfirma ansässig und in den frühen 2000ern eine Bagelfabrik, erzählt der Historiker Guus Vreeburg in einem Vortrag, den er 2017 in der Nudelfabrik gehalten hat und der auf YouTube einsehbar ist.
Das Ehepaar Mahnke baute schon die Dietzoldwerke in Leipzig zu einem Atelierhaus aus, in dem seit 2015 zahlreiche Künstler tätig sind. Im Jahr 2017 kauften sie dann die ‚alte Nudel‘ in Zeitz und startete dort einen ähnlichen Transformationsprozess, bei dem die ehemalige Nudelfabrik, sowie eine ehemalige Poliklinik, welche heute Teil des Gebäudekomplexes ist, in einem Projekt vereint und grundsaniert werden sollten. Doch dies war nicht von einem Tag auf den anderen durchführbar. Seit etwa zwei Jahren sei das Gebäude bewohnbar, erzählt der Hausmeister Punky bei einer Führung durch das Gebäude. Auch heute würden stetig neue Teile des großen Geländes saniert werden, darunter beispielsweise die Hausmeisterwohnung in der Poliklinik und der ruinenartige Ostflügel der Fabrik. Bei einem Besuch dieses Gebäudeteils werden die Auswirkungen klar, die der jahrelange Leerstand auf die Fabrik hatte: eingeschlagene Fenster, bröckelnder Putz, Graffiti an vielen Wänden. Der Vergleich mit dem bereits sanierten Südflügel des Gebäudes lässt erahnen, wie viel Arbeit so ein Projekt ist.
Im Jahr 2017 wurde erstmals ein kleiner Teil der Nudelfabrik saniert. Dort gestalteten zehn Künstschaffende und der Historiker Guus Vreeburg im Rahmen des Projekts If Paradise Is Half As Nice #7 ein fünfwöchiges Kunstprojekt in der Fabrik, welches mit einer Kunstausstellung und einem Vortrag über die Geschichte des Gebäudes endete.
Heute befinden sich in dem ehemaligen Verpackungsbereich der Nudelfabrik zwei ausgebaute Loftwohnungen, die sowohl kurz- als auch langfristig gemietet werden können. Daneben gibt es zahlreiche einzelne Zimmer mit großen Coworking-Bereichen und Aufenthaltsräumen, die ebenfalls vermietet werden. Außerdem stehen Räumlichkeiten zur Verfügung, die für Ausstellungen nutzbar sind und zwei VR-Räume, in denen Videospiele gespielt werden können, wo aber auch Simulationen im Rahmen von Feuerwehrtrainings möglich gemacht werden. Im Moment wird die Nudelfabrik zudem oftmals für größere Firmenfeiern und Workshops genutzt. Außerdem wohnen dort Leipziger Studierende und ukrainische Geflüchtete.
Obwohl die Nudelfabrik inzwischen schon seit über fünf Jahren im Besitz des Ehepaars Mahnke ist, sind dort immer noch die Spuren ihrer früheren Nutzungen zu finden. Zum Beispiel hängt direkt am Eingang der Fabrik heute noch ein Möbelhausschild, weswegen nicht alle Zeitzer von den neuen Entwicklungen in dem Gebäude zu wissen scheinen. Regelmäßig klingeln Einwohner an der Tür, um Möbel zu kaufen, wie der Hausmeister schildert. Die Aufenthaltsräume der Nudelfabrik erinnern mit ihren komplett verfliesten Wänden und ihren hohen Decken heute noch an ihre frühere Funktion als Vorkochküche. Auch durch die Möblierung und die zu einem großen Teil erhaltenen, historischen Böden wurde der Fabrikcharakter des Gebäudekomplexes bewahrt. Die Verkabelung verläuft heute größtenteils außerhalb der Mauern, um diese nicht zu beschädigen und Fundobjekte in der Fabrik wurden oftmals durch Upcycling wieder nutzbar gemacht und in die Inneneinrichtung eingebunden.
Was bis heute offensichtlich ist: Die Gemäuer der ehemaligen Nudelfabrik haben seit ihrem Erbau im frühen 20. Jahrhundert schon viel gesehen. Das Projekt, das die Nudelfabrik in einen Kreativort transformieren soll, kann ein Teil sein, der den Strukturwandel in Zeitz weiter anstößt, indem er neue Menschen in die Stadt bringt. Birgit Mahnke selbst sagte in einem Imagefilm zum Thema Stadtumbau, dass sie sich in der Zukunft für die Stadt Zeitz einen Bevölkerungszuwachs wünsche. Sie sähe in der Stadt und ihren Altbauten und Villen viel Potenzial. Ob diese Hoffnung Früchte trägt, wird sich zeigen.